Meinungsfreiheit und Social Media

Stefan Kretzschmar glaubt, es gäbe für Sportler (und wohl auch andere Prominente) keine Meinungsfreiheit mehr in Deutschland: „Für jeden Kommentar bekommst du eins auf die Fresse. […] Wir Sportler haben in Deutschland eine Meinungsfreiheit, für die man nicht in den Knast kommt. Wir haben aber keine Meinungsfreiheit im eigentlichen Sinne. Wir müssen immer mit Repressalien von unserem Arbeitgeber oder von Werbepartnern rechnen.“ Hier irrt er sich natürlich, denn die Meinungsfreiheit hier gilt immer noch für jeden. Er meint sehr wahrscheinlich etwas anderes…

Denn Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht, dass man, egal was man sagt, nicht mit Widerspruch und Konsequenzen rechnen müsse. Natürlich ist die Art und Weise des Widerspruchs heute sehr oft jenseits von allem, was man als „vernünftig“ bezeichnen würde, es ändert aber nichts daran, dass selbst ein Shitstorm eine Form der Meinungsäußerung ist, die man irgendwie aushalten oder aussitzen muss. Natürlich nur im Rahmen, den das Recht vorgibt: Drohungen, Beleidigungen oder schlimmeres muss sich niemand auf eine (egal wie abstruse) Meinungsäußerung gefallen lassen. Dafür gibt es dann Polizei und Justiz.

Wenn ich zum Beispiel hier nun sagen würde, dass ich der Meinung bin, dass man unser Erbschaftssteuersystem komplett umstellen sollte, selbst bewohnte Immobilien, weiter geführte Unternehmen und Vermögen bis zu einem sehr großzügigen Freibetrag (zum Beispiel 1 Million Euro pro Erbenden) steuerfrei stellen und dafür alles darüber hinaus mit bis zu 100% Erbschaftssteuer belegen sollte, dann weiß ich jetzt schon, dass ich darauf Widerspruch bekommen würde. Mir fallen auch spontan schon fünf Menschen ein, die ganz anderer Meinung sind, mit denen ich über Stunden darüber diskutieren könnte. Einfach so. Verschiedene Meinungen und wir alle haben die Freiheit unsere Meinungen zu sagen oder unsere Meinung zu Meinungen anderer zu sagen oder unserer Meinung zur Meinung zur Meinung eines wieder anderen usw. Und das alles ganz ohne Angst vor Repressalien haben zu müssen – so lange wir uns mit unseren Meinungen nicht in Bereiche bewegen, die strafrechtlich relevant sind.

Wegen einer solchen Meinungsäußerung würde niemand einen Job und kein Sportler seinen Sponsorenvertrag verlieren. Was anderes wäre es natürlich, wenn zum Beispiel jemand der Meinung wäre, es wäre gerechtfertigt flüchtenden Menschen auf dem Mittelmeer zu wünschen, dass sie absaufen würden. Oder ähnliche Aussagen, die ganz klar gegen die Menschenrechte und damit unsere Verfassung gerichtet sind. Mit solchen Meinungen (oder „Meinungen“) muss man natürlich fürchten, dass Arbeitgeber oder Sponsoren der Meinung sind, dass jemand mit solchen Ansichten ein schlechtes Bild auf das Unternehmen oder die Marke werfen würde. Aber auch das ist Meinungsfreiheit. Man muss eben damit rechnen, dass man mit extremen Ansichten auch extrem aneckt.

Cartoon: Randall Munroe alias xkcd, Bild unter CC BY-NC 2.5

Was Stefan Kretzschmar in dem Interview beschreibt ist kein Problem fehlender Meinungsfreiheit, es ist ein Problem von extremer Meinungsverbreitung. Früher™ haben Menschen ihre Meinung auch nur in relativ kleinen Kreisen verbreitet: Unter Freunden, Familie, bei der Arbeit, manche sind auch zu Demos, in Vereine oder Parteien gegangen. Prominente hatten darüber hinaus noch die Möglichkeit, sich auch mal in Interviews zu äußern. Aber jede Äußerung blieb doch auf einen relativ überschaubaren Kreis an Menschen beschränkt oder wurde in der einen oder anderen Art gefiltert. Und das Feedback auf solche Meinungen blieb dementsprechend auch überschaubar.

Heute pusten wir alle unsere Meinungen, gerne auch mal spontan und ohne darüber nachzudenken, in diverse Netzwerke, in denen sich unsere Äußerungen auch schnell und zu sehr viel mehr Menschen verbreiten können als früher™. Und das gilt auch für Prominente. Wo früher™ ein Interview vor der Veröffentlichung zur Freigabe vorgelegt wurde und die eine oder andere Aussage vielleicht noch ein wenig entschärft oder gestrichen werden konnte, kann heute jeder A-Z-Promi ungefiltert alles über die eigenen Social-Media-Auftritte raus ballern. Und sehr viele von ihnen können nicht nur, sie tun es auch.

Dummerweise kommen aber jetzt eben auch die Reaktionen direkt zurück: Wo sich früher vielleicht eine Redaktion mit 20 bösen Leserbriefen zu einem in einem Interview geäußerten Quatsch rumschlagen muss, prasseln heute eben mal schnell 20.000 Kommentare auf einen Facebookeintrag runter. Ist doof. Dann wird daraus ein Shitstorm, noch mehr Menschen bekommen mit, was man da gepostet hat und dann landet es in den klassischen Medien und spätestens dann interessiert es auch Sponsoren, Arbeitgeber oder Geschäftspartner. Da liegt das Problem. Nicht fehlende Meinungsfreiheit ist ein Problem, sondern eher fehlende Filter, die dafür sorgten, dass Meinungsäußerungen, besonders die extremen, auf ein überschaubares Zielpublikum beschränkt waren und bei größerer Verbreitung durch gewisse „Filter“ durchgingen, die die schlimmsten Ecken und Kanten entfernt haben. Dazu dann noch einen direkten, ungefilterten Feedbackkanal und juhu, schon fliegt die Scheiße.

Ein weiterer Irrtum: Wer sich entsprechend des „politischen Mainstreams“ äußere, der könne das gefahrlos und ohne Konsequenzen machen. Konkret nennt Stefan Kretzschmar als Beispiele hier „Wir sind bunt“ oder „Refugees welcome“. Als erstes würde ich das nicht als „politischen Mainstream“ bezeichnen wollen, sondern als Grundlage unserer Gesellschaft. Steht so in der Verfassung. Ein bisschen anders formuliert, mit Einschränkungen durch Gesetze, aber trotzdem beschreibt unser Grundgesetz eine Gesellschaft, die offen, tolerant, frei von Diskriminierung und die Menschenrechte achtend ist. Dieses Ideal wirklich in der Realität zu erreichen ist zwar noch ein weiter Weg, aber trotzdem baut unsere Gesellschaft auf diesen Werten auf. So etwas als „politischen Mainstream“ zu bezeichnen klingt für mich einfach sehr abwertend. Wenn es nicht so gemeint war, okay, dann ist es einfach eine unpassende Formulierung.

Der größte Irrtum aber: Man müsse keine Folgen fürchten, wenn man sich entsprechend dieser Werte äußert. Gut, klar, man muss wohl keine Angst vor Repressalien durch Arbeitgeber oder Sponsoren fürchten, aber wie heftig ein Shitstorm werden kann, wenn man einfach nur ein „Nazis raus!“ twittert, das kann er mal Nicole Diekmann fragen. Natürlich ist „Nazis raus!“ erstmal nur ein sehr verkürzte Form einet Haltung, zu der sehr viel mehr gehört, aber trotzdem sollte es doch „politischer Mainstream“ sein, dass Nazis in unserer Gesellschaft (und ganz besonders in unseren Parlamenten, der Verwaltung, der Polizei, der Bundeswehr…) nicht zu suchen haben. Einfach mal schauen, was es da so für Reaktionen gab. Klar, ihr Job ist dadurch nicht in Gefahr gewesen, Sponsoren hat sie wohl keine (ich weiß es nicht), aber dafür gab es dann Morddrohungen. Man kann natürlich darüber streiten, ob eine relativ konkrete Gefahr des Arbeitsplatzverlustes schlimmer wäre, als eine relativ wenig konkrete Morddrohung, aber muss man das?

Wahrscheinlich klinge ich jetzt wie ein alter Mann (bin ich ja auch), aber vielleicht sollten sich alle, aber vor allem Prominente, mal überlegen, ob sie sich wirklich den Mist mit der großen Öffentlichkeit auf den Social Media Plattformen so antun wollen. Im Zusammenhang mit dem exkremtdurchsetzten Gegenwind, den der Grünen-Chef Robert Habeck abbekommen hat, hat Nerdcore einiges geschrieben und sein Tipp gilt meiner Meinung nach nicht nur für Habeck und andere Politiker:

Mein Tipp an Habeck: Kommentare im Blog erlauben (hart moderiert) und halbspontane Statements auf Youtube. Möglicherweise einen „offiziellen Account als Vorsitzenden“ auf den Plattformen, auf denen er nicht mehr als Mensch agiert, sondern als Amtsträger. Die massenhafte Kommunikation auf Social Media erlaubt für einen Politiker seines Status nurmehr „offizielle Statements“, formuliert von einem Team, natürlich schmissig geschrieben für die Massen. Er hat den Fehler begangen, als Prominenter „real“ und „echt“ zu sein. Das, so schade es klingen mag, ist auf Social Media im Jahr 2019 nicht mehr möglich.

Nerdcore

Ja, es klingt schade und es ist verdammt traurig, aber „real“ und „echt“ und „ungefiltert“ funktioniert bei Social Media einfach nicht (mehr?).

Beitragsbild: Randall Munroe alias xkcd, Bild unter CC BY-NC 2.5

Add your first comment to this post