Flucht in die Opposition?

Nach der Ankündigung von Müntfering, die Koalition wolle so schnell wie möglich Neuwahlen anstreben war der erste Gedanke bei den meisten wohl “Sind die jetzt total bescheuert?”. Aber es macht Sinn, so oder so…

Angenommen den wahrscheinlichen Fall, dass die Union (trotz Merkel) eine vorgezogene Bundestagswahl gewinnen würde könnten sich die Unionsparteien bei unbeliebten Entscheidungen (Hallo Hartz IV) nicht mehr hinter einer rot-grünen Bundesregierung verstecken. Welcher Wähler nimmt denn heute wahr, dass Hartz IV ein Machwerk ist, dem die Union zugestimmt hat? Keiner. Eben. Nebenbei wird so auch dem dümmsten Wähler klar, dass auch eine schwarz-gelbe Regierung nur mit Wasser kocht und kein Unternehmen aufhört Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, nur weil der Bundeskanzler nicht mehr Schröder heisst. Mal abgesehen davon: welche Geschenke wollte eine schwarz-gelbe Regierung den Unternehmen denn machen, die nicht schon die Regierung von Gerhard “Genosse der Bosse” Schröder gemacht hätte? Und was haben all die Geschenke gebracht? Nichts…
Gerhard Schröder und die SPD könnten sich dagegen erhobenen Hauptes abwählen lassen: “Seht her, wir kleben nicht an der Macht, es geht uns natürlich nur um das Land, wenn Ihr eine andere Regierung wollt, dann wählt sie Euch doch”. Und Freude für den linken Flügel der SPD, dadurch ergibt sich die Chance für einen Richtungswechsel, der – allen Dementis zum trotz – durch die von Münte angestossene Kapitalismusdebatte ins Gespräch gekommen ist. Wer weiss, vielleicht sucht sich die SPD nach 4 Jahren schwarz-gelb ihre Mehrheiten wieder links der Mitte statt den toten Gaul der “neuen Mitte” weiter zu reiten. Ist ja echt Leichfledderei, was die da betreiben…
Neuwahlen also als Mittel die unvermeidliche Oppositionszeit zu verkürzen und Schröder die Möglichkeit zu geben, abzutreten ohne das Gesicht zu verlieren… keine schlechte Taktik (für die SPD, für das Land und die sog. “einfachen Leute” wird es unter einer schwarz-gelben Regierung sicher nicht leichter – an so Sachen wie die Softwarepatentrichtlinie und das Urheberrecht will ich gar nicht denken).
Nur was hat Deutschland von einer schwarz-gelben Regierung? Ein Problem haben nämlich alle Parteien: fehlende Konzepte. Und selbst wenn Konzepte da sind, werden die durch die Interessen der eigenen Stammwählerschaft und Lobbyisten soweit verwässert, dass da nicht mehr viel übrig bleibt. Was ist denn z.B. aus der berühmten “Steuererklärung auf dem Bierdeckel” geworden?

Aber mal angenommen, rot-grün würde gewinnen? Die Situation der gegenseitigen Blockade-Möglichkeit in Bundestag und Bundesrat wäre dadurch nicht aufgehoben und nur wegen einer Wiederwahl würde die Union doch ihre Blockadepolitik nicht aufgeben. Das Land wäre also immer noch genau so unregierbar wie vor den vorgezogenen Wahlen. Was bleibt? Große Koalition? Tolle Alternative – Unregierbarkeit wegen gegenseitiger Blockade oder Stillstand durch eine große Koalition.
Eine Blockadehaltung der Union im Bundesrat würde der SPD aber auf jeden Fall Sympathiepunkte bringen – wenn sie es denn gut verkaufen kann – und einen Bonus bei folgenden Landtagswahlen, dadurch würde sich die Chance ergeben diese Blockade aufzulösen. Geschickt für die SPD, aber bringt es Deutschland weiter? Kaum…

Die Union kann bei vorgezogenen Neuwahlen eigentlich nur verlieren: eine Kanzlerkandidatin Merkel kommt in der Bevölkerung nicht so toll an, ihr Rückhalt in der eigenen Partei dürfte auch nicht viel besser sein – und mal ehrlich: wollt Ihr eine Bundeskanzlerin, die aussieht, als hätte sie zum Frühstück Anti-Anti-Depressiva gehabt? Doch wirklich nicht. Ob sich ein Herr Koch oder ein Herr Stoiber so auf die Schnelle (wieder) verheizen lassen halte ich auch für fraglich, mal abgesehen davon: viel Zeit bleibt der Union nicht, sich innerhalb der Partei auf einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu einigen.

Langfristig kann die Koalition durch dieses Manöver nur gewinnen… Schade nur, dass egal wie es ausgeht Deutschland erst mal nicht weiter kommt dabei…