Die Techniker Krankenkasse und ein homöopathischer Shitstorm

Die Techniker Krankenkasse liefert ein wunderbares Beispiel, wie Krisenkommunikation in sozialen Netzwerken nicht laufen sollte, aber vor allem präsentiert sie sich in Sachen Homöopathie als reichlich hilflos und verzweifelt.

Stefan hat bei den Ruhrbaronen das Thema rund um den Tweet ganz gut zusammengefasst, geht aber auf ein paar Punkte leider nicht ein. Wir müssen uns nicht darüber unterhalten, dass Homöopathie vor allem Hokuspokus ist. Homöopathie wirkt nicht, sie erzeugt höchstens einen Placebo-Effekt. Das war es auch schon.

Natürlich will ich hier nicht bestreiten, dass der Placebo-Effekt sinnvoll genutzt werden kann. Das Problem an Placebos ist aber nur, dass wir in einer aufgeklärten Zeit leben (oder es zumindest versuchen) und es das Idealbild eines aufgeklärten und informierten Patienten gibt. So einem Patienten also ein Placebo zu verschreiben und ihm gleichzeitig zu erklären, es wäre ein wirksames Medikament, geht gar nicht. Das ist ethisch nicht vertretbar. Andererseits sind Ärzte aber oft genug einfach gezwungen Placebos zu verschreiben, weil es keine echten Medikamente gibt oder weil die Krankheit des Patienten nicht auf ein körperliches Leiden zurückgeht, sondern rein psychosomatisch bedingt ist.

Bestes Beispiel für den ersten Fall: Die altbekannte Erkältung. Hatte jeder schon einmal und eigentlich wissen wir alle, dass hier nichts hilft, als sich ins Bett zu legen und sich zu schonen, bis er vorbei ist. Diverse Medikamente und Hausmittel lindern zwar die Symptome, erleichtern es, sich zu erholen, aber letztlich muss das körpereigene Immunsystem damit fertig werden. Dummerweise sind wir aber nicht nur aufgeklärte und informierte Patienten, sondern auch Konsumenten. Da ist das Thema Gesundheit keine Ausnahme. So ist es gar nicht unüblich, dass Patienten sich einfach nicht damit abfinden wollen, dass der Arzt ihnen nichts verschreibt. Da kann man noch so lange diskutieren und erklären, eine Aussage wie „Nehmen sie wenn nötig eine Aspirin gegen die Kopfschmerzen, schonen sie sich und in einer Woche ist die Erkältung weg“ oft als regelrechte Arbeitsverweigerung des Arztes interpretiert. Der böse Arzt weigert sich da seinen Job zu machen und etwas zu verschreiben!

In solchen Fällen würden viele Ärzte gerne einfach ein Placebo verschreiben und den Patienten ohne Diskussionen mit einem „Nehmen sie drei davon täglich, bei Bedarf noch eine Aspirin gegen die Kopfschmerzen, schonen sie sich und in sieben Tagen ist die Erkältung weg“ ins Bett schicken. Placebo geht aber nicht, weil informierter Patient und so. Aber dafür gibt es ja die Homöopathie. Großartige Erfindung. Die Homöopathie ist ein komplettes Glaubenssystem rund um diese Placebos, was die Sache doch deutlich vereinfacht. Der Patient wird nicht direkt belogen, man sagt ihm aber auch nicht die volle Wahrheit, aber er kann sich ja informieren. Und mit Nebenwirkungen ist auch nicht zu rechnen. Das kann also durchaus sinnvoll sein – ob der Patient nun an Homöopathie glaubt oder nicht ist dabei erst einmal egal. Klar, wenn sich der Patient informiert, dann wird er erkennen, dass er hier nur ein Placebo bekommen hat, damit ist er informiert.

An sich eine praktische Sache und es spricht eigentlich nichts gegen ein solches Modell, denn damit könnte man durchaus Zeit und Geld sparen. Dazu kommt eine Lobby, die es geschafft hat, viele Menschen davon zu überzeugen, dass es sich bei Homöopathie um eine „alternative Heilmethode“ handeln würde, gar ein „Naturheilverfahren“. Okay, wenn man „alternativ“ so verwendet, wie es seit Trump im Zusammenhang mit Fakten verwendet wird, dann trifft das zu. Aber Homöopathie ist kein Naturheilverfahren, auch wenn das gerne erzählt wird, um die Homöopathie aufzuwerten. Schließlich ist „Natur“ immer besser als „Chemie“. Das scheinen zumindest sehr viele Menschen zu denken.

Für die gesetzlichen Krankenkassen tut sich hier ein doppeltes Dilemma auf: Einerseits müssten sie ihren Versicherten sagen und sie darüber aufklären, dass homöopathische „Heilmittel“ nichts sind. Die wirken nicht. Null. Andererseits würde man damit aber das praktische Glaubenssystem zerstören, dass es Ärzten erlaubt auch im Zeitalter von aufgeklärten und informierten Patienten noch Placebos zu verschreiben.

Und dann sind da die versicherten selbst: Gerade Gutverdienende glauben oft an Homöopathie, haben damit aber gleichzeitig auch die Wahl von der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung zu wechseln. Die gesetzlichen Krankenkassen brauchen aber auch Gutverdiener unter ihren Versicherten, schließlich muss ja irgendwoher Geld kommen. Also bieten sie als Zusatzleistung Homöopathie an, um dieses Klientel zu halten. Dafür nimmt man auch gerne in Kauf, dass die Kosten für Versicherte, die sich homöopathisch behandeln lassen, im Schnitt messbar höher sind, als für die Versicherten, die auf Globuli verzichten – am Ende rechnet sich das durch die höheren Beiträge der gutverdienenden Versicherten, die dank Homöopathie bleiben, statt in eine private Krankenversicherung zu wechseln.

Das alles könnte einem eine Krankenkasse auch sachlich erklären, diejenigen, die Homöopathie für Hokuspokus halten, verstehen dann vielleicht, warum die Krankenkassen für diesen Quatsch Geld ausgeben und warum dieser Quatsch in einigen Fällen eben doch nützlich sein kann und die Gläubigen würden… stimmt, die würden möglicherweise dann doch die Kasse wechseln, hin zu einer, die nicht nur zahlt, sondern auch noch das Gefühl vermittelt, dass Homöopathie eben mehr ist, als Placebo und Hokuspokus. Das kann und will sich eine Krankenkasse aber eben nicht leisten, sonst würden die das ja nicht finanzieren wollen.

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Und so kommen dann so abstruse Tweets wie von der Techniker Krankenkasse zustande, die dank katastrophaler Krisen-PR durch spätere Tweets und den „erklärenden“ Artikel noch schlimmer werden. Das Problem ist natürlich nicht einfach zu lösen, denn dazu müsste man einiges an der Finanzierung unseres Gesundheitssystems ändern, so dass Kassen sich nicht mehr gezwungen sehen müssten, Homöopathie anzubieten. Möglicherweise könnte auch der Gesetzgeber das ändern, wenn er denn wollte. Aber so lange sich das nicht ändert, wird man auch als tatsächlich rational denkender Mensch damit leben müssen, dass wohl inzwischen alle Krankenkassen Homöopathie (und ähnliches) in ihren Katalogen haben. Damit könnte man auch durchaus leben, wenn dann nicht solche Ausfälle wie bei der Techniker Krankenkasse passieren würden, die den Eindruck vermitteln, die TK würde homöopathischen Mitteln tatsächlich auf eine Stufe mit echten Medikamenten stellen.

Denn wenn man sich mal so in den einschlägigen Foren umsieht, wird man schnell feststellen, dass es große Schnittmengen gibt zwischen Homöopathie-Gläubigen, „Pharma-Kritikern“, „Impf-Kritikern“, „MMS-Gläubigen“ und anderen Aluhüten in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen. Die fühlen sich durch die Aussagen der TK jetzt natürlich bestätigt. Damit wird der Gesundheit insgesamt sicherlich kein Gefallen getan, auch wenn natürlich klar ist, dass die wirklich überzeugten Gläubigen sich durch keine Aussage welcher Krankenkasse auch immer von ihrem Glauben abbringen lassen würden.

Beitragsbild von WerbeFabrik via Pixabay, Lizenz: CC0

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